Graveur Ritchi Maier: Meister des Scrimshaw (2024)

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Am liebsten arbeitet er nachts. Da ist es ruhig, keine Geräusche, keine Ablenkung. Richard Maier, Künstlername Ritchi, veredelt ein ganz besonderes Gut - Jagdwaffen: Büchsen und Revolver, Messer und Dolche. In aufwendiger Handarbeit entstehen auf Läufen, Klingen, Schäften fein ziselierte Kunstwerke, geritzt in Metall und auf fossiles Elfenbein. Maier verwendet ausschließlich Material vom Mammut.

Wenn es draußen dunkel wird, ist Deutschlands ungewöhnlichster Graveur ganz bei sich und dem Objekt, das er gestaltet. Stunden, Wochen, Monate geht das so. Für ein Gewehr hat er fast acht Jahre gebraucht. Maiers Klienten sind Liebhaber, sie zahlen jeden Preis. Seine Nachbarn ahnen nicht, wer so alles den Limousinen entsteigt, die vor dem Einfamilienhaus in Bondorf bei Stuttgart halten: Manager, Politiker, viele Jäger, allesamt reich, einer zählte sogar zur Top Ten der "Forbes"-Liste.

Graveur Ritchi Maier: Meister des Scrimshaw (1)

Vor zwei Jahrzehnten hat er gemeinsam mit Messermacher Egon Trompeter Trompeter & Ritchi gegründet. Sein Partner, weit über 70 und so etwas wie ein väterlicher Freund, hat sich mittlerweile aus dem Geschäft zurückgezogen. Maier wird in diesem Jahr 50, wirkt aber mit seinem jungenhaften Lächeln und dem Dreitagebart deutlich jünger. Kariertes Hemd, dunkler Pullover, Sakko, Jeans - alles ist aufeinander abgestimmt, bis hin zum Einstecktuch.

Sein Atelier im ersten Stock ist perfekt aufgeräumt - wie das ganze Haus. "Würde um mich Chaos herrschen, hätte ich das auch in mir", sagt Maier im Tonfall seiner Kärntner Heimat. Der Raum sieht aus wie ein Zahnlabor oder eine Uhrenwerkstatt. Ordentlich aufgereiht liegen auf den Tischen filigrane Werkzeuge: Stichel, Minimeißel, ein kleiner Hammer. Damit entstehen die feinen Linien im Mammutelfenbein. Bei der Vorarbeit, dem Relief, hilft ein Handfräser. Feiner Staub wirbelt durch die Luft, wenn Maier Oberflächen poliert. Danach kommt das Stereomikroskop zum Einsatz, unter dem er mit einer spitzen Nadel die Motive sticht. Bis zu 700 Punkte entstehen so auf einem Quadratmillimeter.

Scrimshaw - die Kunst der Walfänger

Die Instrumente sind hochmodern, die Arbeitstechniken jedoch archaisch. Bereits im 19. Jahrhundert ritzten Walfänger Abbildungen von Schiffen, Frauen und Jagdszenen mit Nadeln in Walzähne. Mit der Scrimshaw genannten Kunst vertrieben sie sich die Langeweile an Bord und besserten ihre Heuer auf. "Das alte Scrimshaw war eine Flucht vor dem Meer - vor zu viel Meer - zurück zum Land", schreibt der amerikanische Künstler und Historiker William Gilkerson.

Graveur Ritchi Maier: Meister des Scrimshaw (2)

Mit dem Ende des Walfangs verschwand auch Scrimshaw als Gravurverfahren. Ritchi Maier kam Ende der Achtzigerjahre erstmals damit in Berührung. Er arbeitete als Graveur bei einer Firma, die Jagdmesser herstellte, als sein damaliger Chef einen Scrimshaw-Auftrag annahm.

Der junge Kunsthandwerker hatte bestenfalls eine grobe Vorstellung davon, wie er vorgehen sollte. Maier begann, einen Rehbock auf einen Hirschhorn-Messergriff zu gravieren. Die Arbeit faszinierte ihn. Er beschaffte sich Fachbücher und verfeinerte seine Technik. Vieles schaute er sich bei amerikanischen Graveuren ab. In den USA erlebte Scrimshaw eine Renaissance, nachdem John F. Kennedy seinen Präsidentenschreibtisch mit gravierter maritimer Kunst dekoriert hatte. "Hier gab es keine Künstler, die ich hätte fragen können", sagt Maier. "Der Scrimshaw-Hype in Europa begann wohl mit mir."

Sind die Elfenbeinflächen fertig verziert, reibt Maier sie mit schwarzer Farbe ein. Dann werden die Jagdszenen lebendig: Elefanten und Kaffernbüffel ziehen durch die Savanne, Fasane steigen in rasantem Flug auf.

Maiers Gravuren sind monochrom, dunkel, nostalgisch. Es ist ein heikles Genre, auf das er sich eingelassen hat. Seine Kunstwerke sind ein Gegenentwurf zu dem vielen Kitsch bei Jagddarstellungen. Was er für kein Geld der Welt gravieren würde: "röhrender Hirsch links, Wildsau rechts, Rehbock unten mit Eichenlaub". Ebenfalls ausgeschlossen sind gewaltverherrlichende Motive oder finstere Symbole. "Schon aus Achtung dem Betrachter gegenüber", sagt Maier. "Und schließlich wird das Stück ja irgendwann einmal weitervererbt."

Im Sommer sind die "Mammut-Lager" prall gefüllt

Sein künstlerischer Anspruch entspricht dem der Manufakturen, die die Basis für Maiers Arbeiten liefern. Die Jagdwaffen etwa stammen von Johann Fanzoj, Österreichs berühmtestem Büchsenmacher, dessen Tradition bis ins Jahr 1750 zurückreicht. Mit Fanzoj-Gewehren aus Ferlach in Kärnten hat schon Kaiser Franz Joseph geschossen. Heute legen Präsidenten, Könige und arabische Prinzen damit an.

Verlässt eine Waffe Maiers Atelier, hat sie ihren Wert leicht verdoppelt. Der "Ivory Hunter", eine mit aufwendigen Gravuren veredelte Repetierbüchse, ist inzwischen eine sechsstellige Summe wert. "So ein Gewehr schleppt man nicht durch den Busch", sagt Maier, "das hat man, um es zu besitzen." Wie die Taschenmesser von Owen Wood, wohl die besten der Welt, handgeschmiedet aus Damast, Gold und Titan. Maier verziert Griff und Klingen mit Augenpaaren von Geparden, angreifenden Löwen, zähnefletschenden Wölfen.

Die dazugehörigen Schmuckschatullen sind aus Mooreiche gefertigt, die Jahrtausende unter Sand und Schlamm gehärtet wurde - ein dunkles Holz, handgeschliffen von derselben Firma, die für den Luxusautohersteller Bugatti arbeitet, innen bemalt von Wildlife-Künstler Rudi Kohl, dessen Werke Maier oft als Vorlage für Gravuren dienen.

Schönheit der Natur

Die Produktionszahlen von Trompeter & Ritchi sind bescheiden. Einzelteile für gerade mal zwei Gewehre graviert er jedes Jahr - jedes ein Unikat, jedes eine Hommage an die Zeit der Entdecker und Abenteurer, die auf der Suche nach Trophäen ihr Leben riskierten. "Ich besitze keinen Jagdschein", sagt Maier, "aber ich stehe der Jagd sehr nahe."

Einmal im Jahr macht er sich sogar selbst auf die Jagd. Dann muss er neues Material beschaffen. Taut im arktischen Sommer in Alaska, Kanada und Sibirien der Boden, gibt er Skelette von Wollhaarmammuts frei, 10.000 bis 40.000 Jahre alte Knochen und Stoßzähne. "Im Juli, August wird die Ware geborgen, ab Oktober sind die Lager in St. Petersburg oder Moskau am besten gefüllt", sagt Jürgen Schott. Der Obermeister der Drechsler- und Elfenbeinschnitzer-Innung Erbach/ Odenwald handelt mit Ware, die von lizenzierten russischen Exporteuren außer Landes gebracht werden darf.

Seit Ende der Achtzigerjahre, als der Handel mit Stoßzähnen frisch erlegter Elefanten verboten wurde, ist der Preis für fossiles Elfenbein in die Höhe geschnellt. Heute kostet ein Kilo Mammutstoßzahn bis zu 1200 Euro. 80 Prozent der Ware geht direkt nach Asien. Ein paar Stücke finden den Weg nach Europa, die besten nach Bondorf ins Atelier von Ritchi Maier. Für ihn ist Mammutelfenbein das "Königsmaterial", selbst wenn es im Rohzustand wenig hermacht: braune, rissige Bruchstücke, verwitterten Holzstücken nicht unähnlich. Die Echtheit des Materials lässt sich leicht überprüfen: Schabt man innen mit dem Skalpell ein paar Späne ab und zündet sie an, riecht es nach verbranntem Haar.

Dass es Maier mit seiner Kunst einmal so weit bringen würde, war nicht abzusehen, als er in den Achtzigerjahren eine Ausbildung an Österreichs bester Schule für Graveure begann. "Schicken Sie Ihren Sohn besser zur Post oder als Kellner an den Wörthersee", sagte der Fachlehrer Ritchis Eltern damals. "Da machte es in mir ,Klick', und da war er, der Wille", erzählt Maier. "Am Ende war ich unter den Besten."

An der Wand des Ateliers hängen Einladungen zu Gala-Essen mit Präsidenten und Dankesbriefe begeisterter Kunden. Manche werden Freunde, laden Maier ein nach Afrika. Viermal war er dort, in Tansania, Kenia, Südafrika und Simbabwe. Öfter ging es nicht, zu viel zu tun. "Für mich haben Afrika und seine Tierwelt eine besondere Magie", sagt der Graveur. Nicht zuletzt, weil die Natur Demut lehre. Und so vermitteln Maiers Tierabbildungen vor allem eine Erkenntnis: Am Ende ist die Natur dem Menschen trotz all seiner Waffen überlegen - an Schönheit, Wildheit, Kraft.

Weitere Infos unter trompeter-ritchi.de

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Author: Prof. An Powlowski

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